«Es ist wichtig, dass wir unseren Werten treu bleiben»

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Interview mit Edward Badeen und Ursula Hayek zur Gründung der Organisation.

 

Wie entstand die Idee von PalCH und wie lange dauerte es vom ersten Gedankenblitz bis zur Gründungsversammlung?

Edward Badeen: Ende September 2000 begann die zweite Intifada in Palästina. Die brutalen Bilder aus dieser Zeit waren sehr prägend, insbesondere der Umgang von israelischen Soldaten mit palästinensischen Kindern. Diese wurden gezielt angeschossen und verletzt. Die Ohnmacht und die Hilflosigkeit war sehr gross. Eines Tages im April 2001 hatte ich das Gefühl, dass ich etwas unternehmen muss. Ich war gerade auf dem Weg nach Tübingen, um dort an der Uni einen Vortrag zu halten. Am Bahnhof traf ich eine Bekannte und erzählte ihr sogleich von meiner Idee eine Hilfsorganisation zu gründen. Sie war sofort dabei und wir beide aktivierten unser Netzwerk und konnten innert kürzester Zeit eine Gruppe
von hilfsbereiten Gleichgesinnten «zusammentrommeln». Wir waren nicht die einzigen, die
sich hilflos fühlten. Am 30. Juni 2001 fand dann die erste Sitzung und Gründungsversammlung des Vereins PalCH – Verein für die Unterstützung notleidender Palästinenserkinder statt.

Ursula Hayek: Mein erster Kontakt mit PalCH war an dieser besagten Gründungsversammlung am 30. Juni 2001 in Basel. Eigentlich wäre mein Mann John Hayek an die Sitzung gereist, da er aber wegen einer Grippe im Bett lag, habe ich ihn vertreten. Ich kam sozusagen wie die Jungfrau zum Kind! Die Idee von PalCH hat mich aber sofort begeistert und es war keine Frage, dass ich mich engagieren möchte. Zu meiner grossen Überraschung wurde ich an dieser Sitzung zur Vizepräsidentin gewählt.

 

Wie kam die Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen zustande?

Ursula Hayek: Für uns war von Beginn weg klar, dass wir mit Partnern vor Ort zusammenarbeiten und keine Direkthilfe leisten möchten. Während meiner ersten Reise nach Palästina im Jahr 1997 habe ich erkannt, dass Bildung die beste Hilfe für die Menschen vor Ort ist. Bildung als «Hilfe zur Selbsthilfe» ist nach wie vor unser Hauptziel. Es war deshalb wichtig, dass wir über unsere Partner Bildung von Kindern und Jugendlichen ermöglichen konnten. Über die Schweizer Organisation cfd – Christlicher Friedendienst wurde uns der Kontakt zur palästinensischen NGO PWWSD – Palestinian Working Women Society for Development vermittelt. Die Organisation fokussiert stark auf die Förderung und Selbstbestimmung von Frauen. Im engen Kontakt mit ihnen haben wir gemeinsam ein Patenschaftsprogramm speziell für PalCH entwickelt, um damit notleidenden Schüler:innen und Student:innen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Die Zusammenarbeit wurde während vielen Besuchen und Begegnungen vor Ort und durch intensiven Austausch gestärkt. So konnten wir auch aushandeln, dass die Patenschaftsbeiträge vollumfänglich zu Gunsten der unterstützten Familien und Personen gehen. Die administrativen Kosten von PWWSD werden durch andere Spenden gedeckt.

Edward Badeen: Während den 90er Jahren reiste ich oft in den Libanon und besuchte die Begegnungsstätte Dar Assalam. Der Leiter des Hauses Said Arnaout stellte mir dann Kassem Aina, den Gründer der Organisation Beit Atfal Assumoud (BAS) vor. Ich habe die Arbeit von BAS über eine längere Zeit beobachtet. Sie waren von Anfang an sehr gut organisiert in den Flüchtlingslagern und legten Wert darauf politisch und religiös unabhängig zu agieren. Dies führte dazu, dass sie zeitweise auch die Koordination von sämtlichen NGOs in den Flüchtlingslagern übernommen haben. Daneben verfolgte BAS von Anfang an dasselbe Ziel wie wir: Die Ärmsten der Armen zu unterstützen, die sonst von niemandem Hilfe bekommen. Mit unserer Unterstützung kann BAS den Kindergartenzugang von jährlich 125 Kindern sicherstellen, und Löhne für Kindergärtner:innen finanzieren nach dem Motto: Hilfe zur Selbsthilfe. Es ist unser Anliegen unsere Hilfe so zu gestalten, dass sie auf die lokalen Probleme zugeschnitten ist. Denn nur so können wir etwas bewirken. Deshalb sind unsere Partner vor Ort so wichtig.

 

Was hat sich verändert seit der Gründung von PalCH? Was ist gleichgeblieben?

Edward Badeen: Die Situation vor Ort hat sich stark zum Schlechten verändert. Es ist für uns ein ständiges Ausloten zwischen den Mitteln, die wir zur Verfügung haben und der Unterstützung, die wir damit leisten können. Wir würden gerne mehr Hilfe leisten und mehr Projekte unterstützen. Das führt auch zu Diskussionen im Vorstand. Es ist aber wichtig, dass wir unserem Ziel und unseren Werten treu bleiben. Was über die Jahre gleichgeblieben ist, sind unsere langjährigen Partner. Ich freue mich, dass wir so starke Partner haben und eine vertrauensbasierte Zusammenarbeit miteinander pflegen.

Ursula Hayek: Über die Jahre wurde die Zusammenarbeit mit unseren Partnern auch immer professioneller und es wurden Funktionen, wie z.B. eine Koordinationsstelle für Kindergärten geschaffen. Auch die Projektanträge werden immer detaillierter und professioneller, was uns die Entscheidung, neue Projekte zu unterstützen, erleichtert. Über die Jahre erwiesen sich Besuche vor Ort als unersetzliche Ergänzung zu online Kontakten. Im Vorstand hatten wir das Glück, dass wir immer wieder Nachwuchs finden konnten und neue Menschen, v.a. auch aus der jüngeren Generation für den Verein gewinnen konnten. Das ist unabdingbar für die Weiterentwicklung von PalCH.

 

Was ist das prägendste Erlebnis, das ihr durch PalCH erlebt habt in den letzten 20 Jahren?

Ursula Hayek: Reisen nach Palästina und in den Libanon sind immer sehr prägende Erlebnisse. Auf der einen Seite erlebt man hautnah die Not der Menschen. Auf der anderen Seite sind die Begegnungen mit den Menschen immer sehr bereichernd. Die Freude der Kinder, die Zuversicht und Dankbarkeit der Familien ist ansteckend und ermutigend. Das erfüllt mich mit Hoffnung und motiviert mich, die Arbeit von PalCH weiterzuführen.

Edward Badeen: Mich berührt es immer sehr, wenn Menschen auf unsere Aufrufe grosszügig reagieren und ohne zögern Nothilfe leisten. Das gibt mir Zuversicht und Hoffnung. Für mich persönlich war eines der prägendsten Ereignisse als das Flüchtlingslager Nahr al Bared bombardiert wurde. Ich war damals im Libanon. Wir haben in Dar Assalam einen Zufluchtsort geschaffen für die hunderten von freiwilligen Helfern. So hatten sie die Möglichkeit, eine körperliche und mentale «Verschnaufpause» einzulegen. Bei Gruppengesprächen haben wir sie bei der Traumabewältigung unterstützt. Es ist unmöglich in Worte zu fassen, was die Menschen damals erleben mussten.

 

Was wünscht ihr euch für PalCH für die nächsten 20 Jahre?

Ursula Hayek: Ich antworte auf diese Frage immer gleich: ich hoffe, dass es uns in 20 Jahren nicht mehr braucht (lacht). Falls es uns bis dahin aber noch geben sollte, wünsche ich mir, dass wir die Menschen in den Flüchtlingslagern im Libanon und in Palästina weiterhin unterstützen können, standhaft (summoud) zu bleiben und in ihrem Bestreben nach Selbstbestimmung und Frieden bestärken zu können.

Edward Badeen: Ich hoffe, dass wir weiterhin mehr Mitglieder gewinnen können und auch den Nachwuchs in den Vorstand holen können. Wir brauchen immer mehr Menschen, die sich für die palästinensische Bevölkerung im Libanon und in Palästina engagieren und auch die Situation und die Zusammenhänge verstehen. Ohne die nächste Generation können wir unsere Arbeit nicht weiterführen.